Es gilt das gesprochene Wort.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
"Eine Gesellschaft, die um ihren kulturellen Boden nicht weiß, kann nirgendwo zum Sprung ansetzen."
Mit diesem Zitat des Journalisten Wolfram Weimer ist die Stärke Deutschlands treffend beschrieben.
Für den kulturellen Boden stehen die deutschen Länder. Hier entsteht die Kraft zur Zukunft durch Kultur und Zusammenhalt, durch Identität und Heimat. Deutschlands Stärke liegt in seiner regionalen Vielfalt und in der Eigenständigkeit seiner Länder. Alle Länder stehen zu dieser Einheit in Vielfalt. Im Wettbewerb untereinander suchen sie nach den innovativsten Ideen und besten Lösungen und bringen so unser Deutschland als Ganzes voran.
Der Bundesrat ist das gemeinsame Sprachrohr der Länder. Als Lordsiegelbewahrer des föderalen Bundesstaates steht er in einer besonderen Verantwortung. Ich freue mich, als Vertreter des Freistaates Bayern für ein Jahr die Präsidentschaft dieses für uns Länder so wichtigen Organs übernehmen zu dürfen.
Sehr herzlich danke ich meiner Vorgängerin, Frau Kollegin Kraft. Sie, liebe Frau Kraft, haben mit großem Charme und straffer Hand präsidiert und mit Ihrem ausgleichenden Pragmatismus auch widerstreitende Interessen zusammengeführt. Sie haben vor allem den letzten Tag der Deutschen Einheit in Bonn hervorragend organisiert. Wir alle haben uns sehr wohl gefühlt. Danke an das Land Nordrhein-Westfalen und an Sie persönlich!
Der Bundesrat, meine Damen und Herren, hat immer darauf geachtet, dass unsere Staatsbürger den Glauben an die Gestaltungskraft der Politik nicht verlieren. Er hat sich in der Vergangenheit als wirkungsvolles Organ der Gestaltung, aber auch als Korrektiv erwiesen. Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise wird der Bundesrat die Rechte und Interessen der Länder weiter mit allem Nachdruck vertreten.
Der Handlungsbedarf in allen europäischen Staaten ist enorm; wir erleben es täglich. Dabei brauchen die politischen Eliten den Rückhalt und das Vertrauen der Bürger.
Wir in Deutschland können darauf aufbauen, dass die Menschen ein starkes Verantwortungsbewusstsein für die Zukunft haben. Der gesellschaftliche Konsens für den Einstieg in ein neues Energiezeitalter über alle Schichten und Parteigrenzen hinweg ist dafür eindrücklicher Beweis. Auch im Bundesrat erweist sich dieser parteiübergreifende Konsens als äußerst tragfähig. Ich darf aus meiner kurzen Erfahrung in diesem Hause hinzufügen: Das gilt auch für den parteiübergreifenden Konsens hier im Hause zu den Lebensbedingungen für Langzeitarbeitslose, für Hartz-IV-Empfänger.
Für mich ist es eine sehr schöne Erfahrung, dass mit dem Naturgesetz gebrochen wurde, dass sich nach einem Konjunktureinbruch die Langzeitarbeitslosigkeit auf höherem Niveau verfestigt. Infolge der gültigen Hartz-IV-Gesetzgebung erleben wir - dazu hat der Bundesrat im Vermittlungsausschuss und im Plenum maßgeblich beigetragen -, dass zum ersten Mal nach einer Rezession, im Aufschwung, die Langzeitarbeitslosigkeit, die Sockelarbeitslosigkeit spürbar abgebaut wird.
Die Menschen in Deutschland fordern generationenübergreifende Verantwortung von der Finanzpolitik über die sozialen Sicherungssysteme bis zum Umwelt- und Klimaschutz. Generationenverantwortung und Generationengerechtigkeit setzen sich im Bewusstsein der Öffentlichkeit als grundlegende Handlungsmaßstäbe mehr und mehr durch.
Wir brauchen eine Kultur der Nachhaltigkeit, um in der Gegenwart alle Politikbereiche so zu gestalten, dass wir die Zukunftschancen unserer jungen Generation nicht beschädigen oder sogar verbauen. Wir brauchen eine Kultur der Nachhaltigkeit für eine zukunftsfeste Gesellschaft, für wettbewerbsfähige Länder, für ein starkes Deutschland und ein gemeinsames Europa.
Das aktuelle Beispiel Griechenland zeigt: Wer auf Kosten der Zukunft lebt, macht es sich zunächst sehr bequem: keine Proteste und schnelle Erfolge. Aber die nächste Generation bezahlt für diese kurzfristige Politik.
Nachhaltigkeit ist nach meiner festen Überzeugung am Ende die sozialste Politik. Der Bundesrat steht für diese Kultur der Nachhaltigkeit im Interesse der Länder, im Interesse der Menschen in Deutschland und Europa.
Aus meiner Sicht sollten wir vor allem auf drei Grundsätze besonderen Wert legen:
Erstens. Solide Finanzen sind das Fundament für Generationenverantwortung und Generationengerechtigkeit. Für eine gute Zukunft unseres Landes dürfen wir unseren Kindern und Enkelkindern keine Schuldenberge hinterlassen. Wir müssen ihnen Chancen eröffnen. Wir müssen Chancen vererben, nicht Schulden. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung.
Wir haben in der Vergangenheit alle gesündigt. Der Bund hat 2010 mehr als 33 Milliarden Euro für Schuldzinsen gezahlt, also für die Vergangenheit. Stellen wir uns vor, wir hätten dieses Geld zur politischen Gestaltung der Zukunft! Aber wir haben aus den Fehlern gelernt. Die Schuldenbremse, die Eingang in unser Grundgesetz gefunden hat, ist der richtige Weg zu einer soliden Finanzpolitik - auch in Europa.
Zweitens. Zukunftskraft gibt es nur mit einem Grundkonsens für nachhaltige Investitionen. Es wäre gut, wenn wir den Investitionsbegriff weiter fassten als in der Vergangenheit und gegenwärtig, da Investitionen im Regelfall vor allem mit Bau und Beton in Verbindung gebracht wurden und werden. Wir müssen unseren Gestaltungsspielraum für Zukunftsinvestitionen in Familien, Bildung und Innovationen - dies sind die wichtigsten Zukunftsinvestitionen - vergrößern.
An dem Maßstab der Generationenverantwortung werden wir unsere Familien- und Bildungspolitik messen lassen müssen. Nur wenn es uns gelingt, Familien, die Keimzelle unserer Gesellschaft, nachhaltig zu fördern und überzeugende Voraussetzungen für eine familien- und kinderfreundliche Arbeitswelt zu schaffen, werden wir eine zukunftsfeste Gesellschaft erhalten können.
Generationenverantwortung heißt beste Bildung. Wir brauchen junge Menschen, die für ihren Lebensweg attraktive Perspektiven sehen, um bei uns im Land zu bleiben. Wir müssen möglichst vielen jungen Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, unabhängig von staatlichen Transferzahlungen. Bildung ist schon längst zur sozialen Frage des 21. Jahrhunderts geworden. Bildung ist die Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts.
Ich bin ein großer Anhänger der Länderkompetenz für Bildungsfragen. Gleichwohl müssen wir darauf achten, dass wir die Bildungspolitik in unserem Lande noch besser koordinieren und dort, wo es im Sinne der Menschen ist, vergleichbare Bedingungen vereinbaren; ich denke nur an die Reifeprüfungen. Aber im Kern sollten wir an der Bildungskompetenz der Länder festhalten.
Drittens. Nachhaltigkeit und Generationenverantwortung sind Grundvoraussetzung für soziale Sicherheit. Soziale Sicherheit ist weit mehr als Solidarität im Hier und Jetzt. Wir müssen uns für generationenübergreifende Gerechtigkeit einsetzen. Deutschland braucht soziale Sicherungssysteme, die zukunftsfest und verlässlich ausgestaltet sind.
Mich erfüllt die zunehmende Altersarmut heute und in der Prognose mit Sorge. Alle gesellschaftlichen Kräfte und wir sind aufgerufen, darüber nachzudenken, wie wir ein Anwachsen der Altersarmut in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vermeiden können. Vor allem diejenigen Menschen, die während ihres ganzen Lebens berufstätig waren, Kinder erzogen haben, sich möglicherweise auch noch um die Pflege von Angehörigen gekümmert haben, dürfen nicht nach 40 Jahren feststellen, dass ihre gesamte Lebensleistung zu einer Alterssicherung führt, die sie nicht von staatlichen Transferzahlungen unabhängig macht. Dies ist eines der größeren Probleme unserer demografischen Entwicklung.
Diese Verantwortung tragen wir auch gegenüber den Kommunen. Ihren Anliegen Gehör zu verschaffen zählt zu den zentralen Aufgaben jedes Landes, aber auch des Bundesrates.
Ich denke mit Freude daran, wie es uns gelungen ist, dass die Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung durch den Bund übernommen werden; ein wichtiger Schritt zur Entlastung der Kommunalfinanzen.
Weitere müssen folgen, vor allem bei den kommunalen Ausgaben für die Eingliederungshilfe für Behinderte. Ich bin der festen Überzeugung, dass es - nach 50, 60 Jahren - nicht mehr zeitgemäß ist, die Eingliederungshilfe für Behinderte in der Zuständigkeit der Kommunen zu belassen. Vielmehr ist es höchste Zeit, erste Schritte für ein Leistungsgesetz des Bundes gegenüber unseren behinderten Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu gehen.
Das Gleiche gilt für die schweren und schwersten Pflegefälle; ich denke an Demenzerkrankte. Hier müssen die gleichen Überlegungen angestellt werden.
Wenn wir die Kommunen mit steigenden Sozialleistungen alleine lassen, meine Damen und Herren, können wir keine Zukunftskraft vor Ort erwarten. Was die Familie für unsere Gesellschaft ist, sind die Kommunen für unseren Staat: das Rückgrat.
Unser Staat muss sich an Subsidiarität, Eigenverantwortung und Solidarität ausrichten als Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft, des Föderalismus und als Schlüssel zur Nachhaltigkeit.
Die Kraft zur Zukunft kann nicht der Staat von oben verordnen, sie muss aus der Gesellschaft heraus wachsen.
Ohne gemeinsame Kultur und gemeinsame Werte gibt es keine Kraft zur Zukunft und keine Solidarität.
Ohne Liebe zum Land und seinen Menschen gibt es keine Motivation und keine Nachhaltigkeit.
Ich persönlich wünsche mir einen fröhlichen Patriotismus für unsere Heimat und unser Vaterland, wie wir es im Übrigen beim Tag der Deutschen Einheit in Nordrhein-Westfalen in beeindruckender Form erlebt haben.
Reden wir also über die Tatkraft und den Optimismus der Deutschen! Reden wir über unsere Stärken! Deutschland ist ein wunderbares Land. Wir Deutsche haben allen Grund, stolz auf unser Land zu sein, auf unsere Leistungen, unseren sozialen Zusammenhalt und unsere Kultur. Machen wir den Einsatz für unsere Heimat zu einem echten Herzensanliegen!
Ich wünsche mir eine konstruktive Zusammenarbeit aller für unser Land. Der Bundesrat - das habe ich in den letzten drei Jahren erleben dürfen - ist das Vorbild für diese Zusammenarbeit. Im Bundesrat wird seit Jahren bewiesen: Deutschland profitiert von der Vielfalt der Länder.
Ich möchte an die Bundesregierung appellieren, diese Länderfreundlichkeit noch zu steigern - nicht immer erst auf Antrag, sondern von Amts wegen. Vielleicht nehmen Sie mit, lieber Chef des Bundeskanzleramtes, dass die Mitwirkung des Bundesrates einen erheblichen Mehrwert für die Bundesrepublik Deutschland insgesamt bedeutet. Deshalb wäre es gut, wenn wir heute ein zusätzliches Signal erhielten, dass sich die Bundesregierung nicht übertreffen lässt, wenn es um die Mitwirkung des Bundesrates geht.
Ich danke Ihnen.
10.871 Zeichen