Meine sehr geehrten Damen und Herren,
man darf die heutige Sitzung des Bundesrates durchaus historisch nennen. Historisch nicht deshalb, weil es die 875. ist - auch wenn das für manchen nach Jubiläum klingt. Historisch auch nicht deshalb, weil die Bremer Bundesratspräsidentschaft endet; das gab es in der Vergangenheit schon viermal, und das wird es auch in der Zukunft wieder geben. Nein, besonders wird die Sitzung dadurch, dass zum ersten Mal eine Frau in das Amt der Bundesratspräsidentin gewählt wird. Nach dem Bundestag, dem Bundesverfassungsgericht und der Bundesregierung erreicht die gesellschaftliche Normalität ein weiteres Verfassungsorgan.
Meinen persönlichen Glückwunsch dazu gibt es natürlich erst nach der Wahl. Mein Dankeschön an das bisherige Präsidium mit Peter Müller und Jürgen Rüttgers möchte ich aber schon jetzt abstatten. Es war eine gute Zusammenarbeit. Vielen Dank dafür!
Meine Damen und Herren,
vor einem Jahr war die Finanz- und Wirtschaftskrise das alles beherrschende Thema. Mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz haben Bund und Länder auch und gerade in der Krise die staatliche Verantwortung gemeinsam übernommen.
Mit der Griechenland-Krise nahmen die Herausforderungen, die sich uns stellten, europäische Dimensionen an. Entschlossen und zügig musste gehandelt werden: mit den Vorlagen zum Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz und zum Euro-Stabilisierungsmechanismus. Als Alternative stand die Zukunft einzelner Mitgliedsländer, ja sogar die Zukunft Europas, zumindest des Euro, in Frage.
Ich denke, wir dürfen feststellen: Das föderale System hat sich an dieser Stelle bewährt. Die Krisen wurden erfolgreich bekämpft. Wer Sorge hatte, die Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes könnte wichtige Verfahrensabläufe verzögern, wurde eines Besseren belehrt.
Ebenso kraftvoll wie in der Griechenland- und der Euro-Entscheidung hätten wir uns das Zusammenspiel von Bund und Ländern beim gemeinsamen Weg in die Bildungsrepublik Deutschland gewünscht. Lernbereite und wissenshungrige Kinder und Jugendliche sind entscheidend für die Gestaltung unserer Zukunft. Daran gibt es kaum Zweifel, welche politische Seite sich auch immer äußert. Der chancengerechte Zugang zu Lernen und Bildung für alle Kinder und Jugendlichen von jüngsten Jahren an ist unerlässlich, diese wichtigste Zukunftsressource Deutschlands auszuschöpfen.
Der Weg zu gemeinsamen Anstrengungen von Bund und Ländern für mehr Chancengerechtigkeit und mehr Teilhabe erwies sich als wesentlich steiniger als die gemeinsamen Anstrengungen, das Land oder Europa aus der Finanzkrise zu führen. Hier bleibt noch viel zu tun. Das bedeutet aber vor allem, die finanziellen Rahmenbedingungen für Länder und Kommunen zu verbessern.
Mehr gemeinsame Beschulung von Kindern, früheste Sprachförderung insbesondere von Kindern mit Migrationshintergrund, gemeinsames Mittagessen für Kinder in Kitas und Grundschulen - kostenfrei zumindest für die Kinder aus armen Familien -, all diese Notwendigkeiten sind keine Wohltaten eines spendierfreudigen Staates, diese Maßnahmen sind das Fundament, um die zentralen Zukunftsthemen zu gestalten. Eigentlich ist allen Handelnden klar, dass nur mit einer großen Bildungsoffensive, die auch vor lebenslangem Lernen nicht Halt macht, die Probleme der Integration oder des demografischen Wandels gelöst werden können.
In diesem Jahr ist es nicht gelungen, den Bildungsgipfel gemeinsam erfolgreich zu bewältigen. Ein neuer Versuch ist es wert, angegangen zu werden.
Ich persönlich meine, dass wir weiter daran arbeiten sollten, auch dem Bund Möglichkeiten zu verschaffen, in Bildungsfragen hilfreich zu sein. Das Ganztagsschulprogramm bleibt beispielhaft.
Meine Damen und Herren,
die Präsidentschaft Bremens war in ein Jubiläumsjahr eingebettet. Der 20. Jahrestag des Falls der Mauer markierte den Anfang, die zentrale Feier zum Tag der Deutschen Einheit vor zwei Wochen in Bremen bildete den Ausklang des Jahres.
Ich darf mich an dieser Stelle bei den vielen Kollegen und Kolleginnen aus diesem Haus bedanken, die in Bremen dabei waren. Mit großem Nachdruck haben Sie durch Ihre Beteiligung deutlich gemacht, dass den Ländern die deutsche Einheit ein zentrales Anliegen ist.
Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, weiter an dem damaligen Vorschlag des früheren Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble festzuhalten, den Tag der Deutschen Einheit im jährlichen Wechsel jeweils in dem Bundesland zu gestalten, das die Präsidentschaft des Bundesrates führt. In Bremen ist es meines Erachtens gelungen, den besonderen bundesstaatlichen Charakter unseres Gemeinwesens herauszustellen.
Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang auf eine kleine Ausstellung hinweisen, die hier im Bundesrat zu finden ist. "Einheitsbilder - Deutsche und europäische Staatsschiffe in der Karikatur (1871 bis 2010)" heißt eine Ausstellung des Bremer Sonderforschungsbereichs "Staatlichkeit im Wandel". Sie weist nicht nur auf die relativ kurze Geschichte einer deutschen Staatlichkeit in Einheit seit 1871 hin, sondern weitet den Blick zugleich auf die europäische Einheit. Über alle aktuellen Jahrestage hinaus gehört das weitere Zusammenwachsen Europas sicherlich zu den beständigen Aufgaben auch dieses Hauses.
Meine Damen und Herren,
fast ein bisschen untergegangen wäre ein weiterer Jahrestag, nämlich dass der Bundesrat vor ziemlich genau 20 Jahren zum ersten Mal im Kreis der 16 Länder tagte. In der DDR waren die alten Länder durch Verwaltungsbezirke ersetzt worden, die Wiedervereinigung ermöglichte das Entstehen der sogenannten neuen Länder. Aus diesem Anlass hat das Sekretariat des Bundesrates eine Broschüre herausgegeben. Sie gibt einen Überblick über die Entwicklung des Bundesrates vom Mauerfall bis zur Wiedervereinigung und zeigt, wie die damals neuen Länder 1990 und danach in den Bundesrat integriert worden sind.
Ich darf an dieser Stelle dem Sekretariat herzlich danken - nicht nur dafür, sondern auch für die Unterstützung im ablaufenden Jahr. Das ablaufende Jahr war für den Bundesrat arbeitsreich, weshalb ich mich sehr beim Ständigen Beirat und bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses für die Unterstützung bedanke. Das betrifft nicht nur die Alltagsarbeit. Besonders möchte ich den Tag der offenen Tür - gemeinsam mit dem Berliner Abgeordnetenhaus - in Erinnerung rufen, der viele Bürgerinnen und Bürger auf die Arbeit des Hauses aufmerksam gemacht hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihnen allen darf ich für die vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit im ablaufenden Jahr herzlich danken.
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